Barotrauma – Ab welcher Fangtiefe ist ein Zurücksetzen von Fischen nicht mehr sinnvoll?

Barotrauma – Ab welcher Fangtiefe ist ein Zurücksetzen von Fischen nicht mehr sinnvoll?

Angler und Angelmethoden werden immer effektiver und verschiedene Entwicklungen ermöglichen auch in der kalten Jahreszeit immer bessere Fänge von Fischen unterschiedlichster Arten. Viele dieser Fische sollen oder müssen nach dem Fang wieder schonend in ihr Element entlassen werden. Aber, gerade jetzt im Winter suchen immer mehr Fische die tieferen Bereiche der Gewässer auf und wir als angelnde Personen müssen uns fragen, ob ein Zurücksetzen eines gefangenen Fisches überhaupt noch sinnvoll ist. 

Neben der „normalen“ Sterblichkeitswahrscheinlichkeit durch den Prozess des Angelns, kommt ab einem bestimmten Tiefenbereich noch die Gefahr eines Barotraumas für die Fische hinzu. Was bedeutet Barotrauma, woran erkennt man es und welche Fischarten sind ab welchen Tiefenbereichen besonders betroffen? Das erfahrt ihr in dem folgenden Artikel.

Das Barotrauma

Man kennt eine extreme Form des Barotraumas meist aus Angelberichten aus dem Meeresbereich. Oft sieht man in solchen Berichten Fische mit „Glotzaugen“ oder Fische dehnen die Schwimmblase quasi aus dem Maul rausguckt (Bild siehe oben, Fisch wurde zum Verzehr entnommen).

Im Bereich des Angelns tritt das Barotrauma ganz generell dann auf, wenn Fische aus größeren Tiefen an die Oberfläche geholt werden. Das Problem ist die fehlende Möglichkeit zum Gasaustausch. Besonders die Luft in der Luftblase dehnt sich extrem aus und zerquetscht den Fisch quasi von innen. Aber auch alle anderen gasgefüllten Räume dehnen sich aus. 

Neben diesen extremen Anzeichen kann ein Barotrauma aber auch weniger offensichtlich sein. Zum Beispiel in Form einer Quetschung von inneren Organen, Gasembolien oder inneren Blutungen. Wir als angelnde Personen merken das nicht, für den Fisch sinkt allerdings die Überlebenswahrscheinlichkeit dramatisch. Ein Barotrauma ist also nicht immer für uns offensichtlich zu erkennen, umso besser sollten wir die Tiefenbereiche kennen, ab denen es für bestimmte Fischarten kritisch werden kann.

Welche Fischarten sind besonders betroffen?

Ab welcher Tiefe ein Barotrauma auftreten kann, ist natürlich von der Fischart abhängig. Ganz generell gibt es zwei große Gruppen, die hier unterschieden werden. Die Physostomen und die Physoklisten. Bei den Physostomen Fischen existiert eine Verbindung zwischen Schwimmblase und Darm. Diese Verbindung ermöglicht einen schnelleren Gasaustausch und damit eine geringere Gefahr eines Barotraumas. Bei den Physoklisten existiert diese Verbindung nicht. Ein schneller Gasaustausch ist nicht möglich und die Gefahr eines Barotraumas steigt.

Ein paar wenige Beispiele:

PhysostomePhysoklisten
HechtBarsch
RegenbogenforelleZander
Karpfen
Rapfen

Wann ist ein Fisch in zu tiefem Wasser gefangen worden?

Wir sollten unsere Aufmerksamkeit also vor allem auf Barsche und Zander richten. Studien zu genau diesen beiden Fischarten sind eher selten. Das liegt daran, weil die entsprechenden Genehmigungen für notwendige Experimente oft nur schwer zu bekommen sind (so wissenschaftlich interessant und relevant ist das Thema dann doch nicht). Das Gute ist, dass das in Nordamerika ganz anders aussieht und wir uns daher auf Studien von z.B. nahe verwandten Arten stützen können: Walleye (Sander vitreus) und Gelbbarsch (Perca flavescens).

Für beide Fischarten scheint eine Tiefe von 10 Metern eine sehr bedeutende Grenze zu sein. In einer erst kürzlich veröffentlichten Studie stieg die Sterblichkeit für Walleyes ab der 10 Meter Marke rasant von 5 auf 37% an (Lyon et al., 2022)! Bei 12 Metern Wassertiefe lag die Sterbewahrscheinlichkeit bei 92%. Erste Anzeichen für ein Barotrauma können allerdings schon früher auftreten. 

Schreer et al. (2009) fanden bereits erste Anzeichen für ein Barotrauma bei Walleye und Gelbbarsch ab einer Tiefe von knapp über 6 Metern. Aber auch hier stieg die Sterbewahrscheinlichkeit erst ab 10 Metern rasant an. Im Kontrast dazu steht eine Studie, die keinen Effekt der Fangtiefe auf die Sterblichkeitswahrscheinlichkeit von Walleyes feststellen konnte (Twardek et al., 2018). Hier sind Fische zwischen 6 und 12 Metern Wassertiefe gefangen worden. 

Auch ganz speziell für Gelbbarsche scheint die Tiefe von 10 Metern eine entscheidende Rolle zu spielen (Knight et al., 2018). Bei einer Tiefe von 6 Metern liegt die Sterbewahrscheinlichkeit noch bei unter 5%, bei 18 Metern sind es dann mehr als 95%. Bei circa 10 Metern zeigen ungefähr 50% der gefangenen Fische ein Anzeichen für ein Barotrauma. 

Wie gesagt, selbst wenn wir keine äußeren Anzeichen für ein Barotrauma feststellen können, kann es trotzdem innerliche Verletzungen geben. Fische mit Barotrauma haben kaum eine Überlebenschance. Wenn man also vor hat, gefangene Fische ggf. zurückzusetzen, sollten 10 Meter Wassertiefe das absolute Maximum sein. Wer verantwortungsbewusst angelt, hört am besten bei einer Tiefe von 6 Metern auf.

Was verhindert ein Barotrauma?

Wenn man über das Thema Barotrauma spricht/schreibt, hört man ganz oft, dass ein langsamer Drill dazu beitragen soll, dass Fische höhere Überlebenschancen haben. Die Idee ist, dass man dem Fisch quasi Zeit für einen Druckausgleich gibt. Stellt man sich vor, dass bei Physoklisten der gesamte Druckausgleich der Schwimmblase über Diffusion und Osmose geschehen muss (beides eher langsame Vorgänge), wird eigentlich schnell klar, dass das wenig Sinn macht. 

Zumindest ein Bericht aus den Staaten konnte ich finden, der nahe legt, dass in Bezug auf die Zeit, die Gelbbarsche brauchen um sich vom Fang in 3 oder 6 Meter Wassertiefe zu erholen, die Dauer des Drills absolut keine Rolle spielt (https://faculty.bemidjistate.edu/ahafs/wp-content/uploads/sites/2/2015/05/2015.-Klingsheim-B.J.-Influence-of-depth-and-retrieval-speed-on-yellow-perch-barotrauma-recovery-time-in-winter.pdf, aufgerufen am 15.11.2022). 

Neben diesem „langsamen“ Drill gibt es noch weitere Methoden, die immer wieder genannt werden, um die Effekte eines Barotraumas zu verringern und die Überlebenswahrscheinlichkeit der Fische zu erhöhen. Ich nenne diese Methoden hier erst gar nicht und möchte den Bericht lieber mit zwei (englischen) Zitaten beenden, die eben genau die Effektivität dieser Methoden untersucht haben.

“On the basis of these results, wherever possible Macquaria novemaculeata suffering barotrauma should be immediately released with no treatment.” (Roach et al., 2011)

Zwar keine heimische Fischart, aber M. novemaculeata ist der „Australische Bass“ und wie gesagt, es geht um die Anatomie, nicht die genaue Fischart! In einer weiteren Studie, in dem Fall dann zum Walleye, heißt es:“Eliminating catch-and-release angling in deep water is the best means of managing barotrauma in Walleye.”  (Eberts et al., 2018)

Fazit

Die Verwertungsabsicht für gefangene Fische sollte in gleichem Maß steigen wie die Tiefe, in der die Fische gefangen werden!

Ab 10 Meter macht ein Zurücksetzen absolut keinen Sinn mehr. Aber auch ab 8 Metern Tiefe sollte man sich ein Zurücksetzen bereits gut überlegen.

Autor: Dr. Martin Friedrichs-Manthey (Gewässerökologe)

Quellenangaben

Eberts, R. L., Zak, M. A., Manzon, R. G., & Somers, C. M. (2018). Walleye Responses to Barotrauma Relief Treatments for Catch-and-Release Angling: Short-Term Changes to Condition and Behavior. Journal of Fish and Wildlife Management, 9(2), 415-430. https://doi.org/10.3996/112017-jfwm-096 

Knight, C. T., Kraus, R. T., Panos, D. A., Gorman, A. M., Leonhardt, B. S., Robinson, J., & Thomas, M. (2018). Is Barotrauma an Important Factor in the Discard Mortality of Yellow Perch? Journal of Fish and Wildlife Management, 10(1), 69-78. https://doi.org/10.3996/062018-jfwm-056 

Lyon, C. A., Davis, J. L., Fincel, M. J., & Chipps, S. R. (2022). Effects of capture depth on walleye hooking mortality during ice fishing. Lake and Reservoir Management, 1-7. https://doi.org/10.1080/10402381.2022.2130118 

Roach, J. P., Hall, K. C., & Broadhurst, M. K. (2011). Effects of barotrauma and mitigation methods on released Australian bass Macquaria novemaculeata. Journal of Fish Biology, 79(5), 1130-1145. https://doi.org/https://doi.org/10.1111/j.1095-8649.2011.03096.x 

Schreer, J. F., Gokey, J., & DeGhett, V. J. (2009). The Incidence and Consequences of Barotrauma in Fish in the St. Lawrence River. North American Journal of Fisheries Management, 29(6), 1707-1713. https://doi.org/10.1577/M09-013.1 Twardek, W. M., Lennox, R. J., Lawrence, M. J., Logan, J. M., Szekeres, P., Cooke, S. J., Tremblay, K., Morgan, G. E., & Danylchuk, A. J. (2018). The Postrelease Survival of Walleyes Following Ice-Angling on Lake Nipissing, Ontario. North American Journal of Fisheries Management, 38(1), 159-169. https://doi.org/10.1002/nafm.10009